Care-Arbeit, Gleichstellung und der Blick auf Männer

Auf einen Blick

Arbeit, mit der Menschen für andere Menschen sorgen, wird als „Care-Arbeit“ bezeichnet – angelehnt an den englischen Ausdruck „care work“. Der überwiegende Teil dieser Tätigkeiten wird von Frauen geleistet; Frauen leisten im privaten Kontext durchschnittlich 52,4 % mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer, so berechnet durch die Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017). Zudem ist das Stereotyp weit verbreitet, dass für solche Tätigkeiten Frauen besonders gut geeignet seien, dass diese Arbeit ihrem „Wesen“ entspräche. Von Männern hingegen wird erwartet, dass sie Karriere machen, um das Rollenbild des „Familienernährers“ zu erfüllen.

Dass Frauen mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten, während Männer deutlich mehr bezahlt arbeiten, ist ein zentrales Thema der Gleichstellung. Denn hierdurch werden Geld, Macht und Zeit ungleich verteilt; nicht selten kommt es zur Abhängigkeit von Frauen von ihren (Ehe-)Partnern. Diese Schieflagen sind – wenn auch in verschiedenen Regionen Deutschlands unterschiedlich stark ausgeprägt – historisch gewachsen und werden durch eine Reihe von institutionellen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel dem Ehegattensplitting, zementiert.

Auch wenn Care-Arbeit gegen Lohn geleistet wird, wie in erzieherischen und pflegerischen Berufen, liegt die Bezahlung häufig unter der für Tätigkeiten, die mehrheitlich von Männern geleistet werden. Die größtenteils von Frauen ausgeübten Care-Berufe erhalten weiterhin nicht die Anerkennung, die ihrer „Systemrelevanz“ entspräche. Trotz aller Stereotypen und teils widriger Arbeitsbedingungen entscheiden sich inzwischen auch immer mehr Männer für Care-Berufe. Umfragen zeigen, dass Männer sich zunehmend an der Sorgearbeit beteiligen wollen, sei es privat oder beruflich. Insbesondere Väter möchten heutzutage eine aktivere Rolle bei der Erziehung ihrer Kinder spielen. Politik und Wirtschaft können die dafür geeigneten Rahmenbedingungen schaffen und Frauen wie Männern die Wahl eines Lebensmodells und Berufs abseits von Stereotypen und Zuschreibungen ermöglichen. Eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit und die Veränderung ihr zugrunde liegender Stereotype sind daher Grundbausteine zur Erreichung von Geschlechtergleichstellung.

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von Marc Gärtner

Weitere Bezeichnungen für Care-Arbeit lauten Sorgearbeit, Versorgung oder Fürsorge. Neben unbezahlter Arbeit im eigenen Haushalt oder in der Pflege und Erziehung von kranken oder älteren Verwandten bzw. Kindern (auch im Rahmen von Nachbarschaftshilfe), werden bezahlte Tätigkeiten im Pflegesektor, in der Kinderbetreuung und zum Teil auch die Soziale Arbeit sowie angrenzende Felder ebenfalls als Care-Arbeit bezeichnet. Darüber hinaus wird auch das Ehrenamt gelegentlich unter Care-Arbeit gefasst.

Der Gender Care Gap

Berechnet man die Summe der geleisteten unbezahlten Care-Arbeiten in privaten Haushalten getrennt nach Geschlecht, so ergibt sich der Gender Care Gap, also die Lücke zwischen der Zeit, die Frauen und Männer durchschnittlich in diese Arbeiten investieren. Der Gender Care Gap lag laut dem Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017: 11 f.) in den Jahren 2012 und 2013 bei 52,4 %; das heißt, Frauen leisteten im Durchschnitt täglich 87 Minuten mehr Care-Arbeit als Männer. Kommen betreuungspflichtige Kinder ins Spiel, betrug dieser Abstand sogar 150 Minuten pro Tag (s. Abb. 1).

Quelle: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (Bundesregierung 2017: 95 f.); Datengrundlage ist die letztverfügbare Zeitverwendungserhebung (2012/13); eigene Darstellung

Aus Männersicht bedeutet dies eine größere „Freiheit“ von Care-Arbeit und somit für Erwerbsarbeit und Karriere. Frauen sind hingegen stärker mit unbezahlter Arbeit belastet und haben somit berufliche Nachteile. Die resultierenden Erwerbsunterbrechungen und Arbeitszeitverringerungen sind eng mit dem Gender Pay Gap und dem Gender Pension Gap verknüpft (Gärtner et al. 2020: 72 ff.). Daher spricht der Unternehmensberater Robert Franken (2020: o. S.) von einem „Teufelskreis von Gender Gaps“.

Geschlechterstereotype, Berufswahl und Rollenbilder im Wandel

Häufig sind es stereotype Vorstellungen von männlichem und weiblichem Alltagshandeln, die uns bestimmte Tätigkeiten in Haushalt, Kinder- und Krankenbetreuung nahelegen. So wird Care-Arbeit üblicherweise stark mit Frauen verknüpft: Diese leisten den weitaus größeren Teil dieser Arbeiten und werden auch – bewusst oder unbewusst – mit den Tätigkeitsprofilen assoziiert. Hier soll stärker auf die Rolle von Männern eingegangen werden: Was hat die Zuteilung von Care-Arbeit mit Stereotypen und dem Bild des Mannes zu tun – etwa als „Ernährer der Familie“ (1)? Wie sieht es in der bezahlten Care-Arbeit aus – wie viele Männer arbeiten dort und wie könnte ihr Anteil erhöht werden (2)? Gibt es einen Rollenwandel von Männern und welche Bedeutung hat er für private und berufliche Care-Arbeit (3)? Nicht zuletzt: Was kann getan werden, um die Einbindung von Männern sowohl in der privat-familiären als auch in der beruflichen Care-Arbeit zu stärken (4)? Durch den Blick auf Männer soll das Thema ein wenig „gegen den Strich gebürstet“ werden, um die Normalität von Zuschreibungen und die damit einhergehenden Ungleichheiten zu hinterfragen.

Der männliche Familienernährer und die Stereotypie der Geschlechter (1)

Männer widmen sich ganz dem Beruf, während Frauen sich um Haushalt, Erziehung und gegebenenfalls eine Teilzeitstelle kümmern – das ist im Kern das traditionelle Modell des männlichen Familienernährers, das über Jahrzehnte im Zentrum der Arbeitsmärkte vieler Länder stand. Der Mann war „frei“ für Arbeit, öffentliche Ämter und Karriere, eine Hausfrau bzw. Zuverdienerin an seiner Seite hielt ihm, wie man sagte, „den Rücken frei“. Dieses Modell galt nie für alle und nie überall. In Westdeutschland war es Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem in bürgerlichen Schichten verbreitet, bis es aufgrund gestiegener Löhne auch in der Arbeiterklasse ankam: „Die Frau eines Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten“, wurde stolz verkündet (Gesterkamp 2007: 18). In der DDR war zwar die Erwerbsarbeit für beide Geschlechter die Norm, aber hier leisteten Frauen – wie auch im Westen, wenn sie erwerbstätig waren ­­­– den größeren Teil der Haus- und Familienarbeit (Schäfgen 1998: 74). Die unterschiedlichen Traditionen in Ost und West spiegeln sich, trotz aller Angleichung, noch immer in den Daten wider. So lag 2021 der Gender Gap in der Erwerbstätigen-Quote in Westdeutschland bei 11 %, in Ostdeutschland (mit Berlin) hingegen bei 7 % (Destatis 2023a: o. S.). Auch ist die Teilzeitquote der Frauen im Westen höher als im Osten (WSI 2023: o. S.). Somit ist nicht verwunderlich, dass in den Landesteilen Gender Care Gap und Gender Pay Gap unterschiedlich ausfallen (letzterer liegt für abhängig Beschäftigte in Ostdeutschland bei 7 %, in Westdeutschland bei 19 %) (Schäper et al. 2023: 102).

Doch auch wenn das Ernährermodell nie allgemeingültig war, seine normative und strukturelle Wirkung ist enorm. Bis 1977 galt im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, so weit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ (Trübner 2020: 18) Das letzte Wort lag bis dahin beim Ehemann. Auch die Arbeitswelt war (und ist zum Teil noch immer) von diesem Modell geprägt, das aufgrund der darin enthaltenen Vollzeitnorm die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschwert oder gar unmöglich macht. Frauen waren für die unbezahlte Hausarbeit zuständig, selbst wenn sie erwerbstätig waren. In den USA sprachen Hochschild und Machung bereits 1989 von der „Zweiten Schicht“ (so der Titel ihres Buches), die erwerbstätige Frauen leisten – oft trotz ähnlich langer Erwerbszeiten im Vergleich zu ihren Partnern. In der Bundesrepublik liegt die gesamte tägliche Tätigkeitsdauer (bezahlt und unbezahlt) von Männern in Paarbeziehungen zwar leicht über der ihrer Partnerinnen, da diese weniger in die Erwerbsarbeit integriert sind (s. Abb. 2) (Samtleben 2019: 142). Es scheint jedoch, dass nicht bloß die Zeit, die Männer für Erwerbsarbeit aufwenden, ihre Teilnahme an der Haushaltsarbeit begrenzt: Samtleben (ebd.) stellt dar, dass Frauen auch an arbeitsfreien Tagen deutlich mehr Care-Arbeit leisten. Dies deutet darauf hin, dass auch stereotype Vorstellungen von männlichem und weiblichem Alltagshandeln einen gewichtigen Einfluss auf die intrafamiliäre Arbeitsteilung haben.

Quelle: Klünder/Meier-Gräwe (2017: 70); Datengrundlage ist die letztverfügbare Zeitverwendungserhebung (2012/13); eigene Darstellung

Dass Männer deutlich mehr bezahlt arbeiten und Frauen deutlich mehr unbezahlt, ist die Basis einer wichtigen gesellschaftlichen Schieflage: An Berufsarbeit ist nicht nur ein Einkommen geknüpft, welches eine ökonomische Ressource darstellt und einen Macht- und Autonomievorsprung bedeuten kann. Sie verschafft über den Einkommenserwerb hinaus in der Regel auch einen höheren Status, da die Arbeit meist in einem gesellschaftlich sichtbaren Feld, also öffentlich, geleistet wird und mit der Anerkennung einer gewissen Expertise einhergeht, die der Familienarbeit in der Regel kaum zuerkannt wird. Traditionell ist es in stärkerem Maße der Beruf des Mannes oder Vaters, über den sich der Status einer Familie herstellt („Zahnarztgattin“, „Arbeiterkind“). Es ist oft auch eine „Frage der Ehre“ als Mann die Familie ernähren zu können. Aktive Mutterschaft definiert hingegen Weiblichkeit in einem viel umfassenderen Maße, als es aktive Vaterschaft für Männlichkeit tut. Man kann auch von „Erwerbszentriertheit“ bei Männern sprechen, die tief mit männlichen Identitäten verwoben ist. Hier entsteht eine erhebliche Abhängigkeit vieler Frauen von ihren (Ehe-)Partnern. Institutionelle Rahmenbedingungen, wie z.B. das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartner*innen, reproduzieren diese Abhängigkeit kontinuierlich (Bundesregierung 2017: 178 ff.). Auch Minijobs, also geringfügige Arbeitsverhältnisse, die zwar einen gewissen Zuverdienst ermöglichen, aber Anreize die Erwerbstätigkeit auszudehnen massiv mindern, da Abgaben- und Steuerlast bei umfangreicherer Tätigkeit des Zuverdienenden sprunghaft ansteigen, können Einkommensunterschiede bei Paaren zementieren (ebd.: 183).

SAHGE- oder Care-Berufe (2)

Unter Care-Berufen versteht man solche, „die das tägliche körperliche, psychische und soziale Wohlergehen von Menschen sicherstellen, wie Krankenpflege, Altenpflege, häusliche Pflege, frühkindliche Bildung, Grundschulunterricht und Sozialarbeit“ (Scambor/Gärtner 2020: 25). Hier ist die Geschlechtersegregation besonders ausgeprägt: In Pflegeberufen lag der Männeranteil 2022 bei 17 % (Statista 2023: o. S.), in Kindergärten sogar nur bei 8 % (Bundesagentur für Arbeit 2023a: 9).
Darüber hinaus werden häufig – nicht zuletzt abgeleitet aus der unbezahlten Care-Arbeit – auch haushaltsnahe Dienstleistungen bzw. der Bereich der Hauswirtschaft hinzugerechnet. In der Fachdiskussion hat sich das Akronym SAHGE-Berufe etabliert, welches die Arbeitsfelder Soziale Arbeit, Haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheits- und Erziehungsberufe zusammenfasst. Nimmt man die verfügbare Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur Grundlage, zeigt sich eine deutliche Geschlechtersegregation in den SAHGE-Berufen (s. Abb. 3).

Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2023b: o. S.); Stichtag 30.09.2022; eigene Darstellung

Im Allgemeinen dominieren Geschlechterstereotype über Care-Arbeit als „Frauenarbeit“, diese sei mithin wenig geeignet oder gar unangemessen für Männer. Ursula Rabe-Kleberg (1993: 135) sprach auch davon, dass Frauenarbeit die Arbeit sei, „die Männer nicht tun wollen, also übrig lassen“. Zum widrigen Image als „unmännlich“ kommen die Arbeitsbedingungen hinzu, denn „Frauenberufe“ gelten als in Relation zum Anspruch der Arbeit als schlecht bezahlt und von geringem Status. Manche haushälterischen und pflegerischen Care-Arbeiten werden informell, nicht-sozialversichert und von migrierten Arbeitskräften geleistet, was mit statusbezogener und materieller Abwertung sowie Prekarität einhergeht (Scambor/Gärtner 2020: 33). Selbst in regulären Arbeitsverhältnissen werden Care-Tätigkeiten unterdurchschnittlich entlohnt. Der Lohnspiegel der Hans-Böckler-Stiftung weist im Gehaltscheck Bruttojahresverdienste1 für ausgewählte SAHGE-Berufe aus, die deutlich unter dem mittleren Jahresbruttoverdienst Vollzeitbeschäftigter von 49.260 € liegen (WSI o. J.: o. S.; Destatis 2023b: o. S.): In der Altenpflege verdienen Frauen durchschnittlich 31.921 €, Männer 33.947 €, Erzieherinnen erzielen 36.515 €, Erzieher 38.638 €, und in der Hauswirtschaft sind es für Frauen 25.514 € und für Männer 26.224 €. Auffällig ist hier nicht nur die relativ geringe Entlohnung (und damit Bewertung) von Arbeit, die (insbesondere in der Pflege) zunehmend als systemrelevant angesehen wird. Deutlich wird ebenfalls eine durchgehend höhere Entlohnung von Männern, selbst bei gleicher Berufserfahrung und Tätigkeit. Hinzu kommen Aufstiegsvorteile, die bereits seit langem bekannt sind: Williams (1992: 236) arbeitete heraus, dass Männer gerade dort, wo sie eine Minderheit sind, überdurchschnittlich häufig und relativ rasch in Leitungspositionen kommen. Sie bezeichnete dies als Effekt der „gläsernen Rolltreppe“ (glass escalator effect).

Neben den als schlecht geltenden Arbeitsbedingungen sind Zuschreibungen und Stereotype besonders starke Hindernisse für Männer auf dem Weg in solche Berufe – sie können insbesondere Jugendliche bei der Berufswahl entscheidend blockieren. Diese Stereotype sind jedoch auch historisch fragwürdig, weil Berufsbilder immer einem starken Wandlungsprozess unterliegen. Zwar wird Krankenpflege oft noch immer mit der “Krankenschwester” assoziiert (Charité 2023: o. S.), doch zu allen Zeiten waren Männer an der Pflege beteiligt (O’Lynn/Tranbarger 2007: 10 ff.). Häufig dominierten sie dieses Feld auch, beispielsweise als Sanitäter im Kriegseinsatz, wenn Frauen ausgeschlossen waren (ebd.: 27 f.). Im Mittelalter waren vor allem Mönche mit der Krankenpflege betraut; der Johanniterorden ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Erziehungsberufe haben eine ebenso wechselvolle Geschichte: Historisch waren zu den meisten Zeiten Pädagog*innen männlich. Dies galt bis in jüngste Zeiten umso mehr, je höher (und besser bezahlt) die jeweiligen Bildungsstufen waren. Die bürgerliche Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts verwies Frauen jedoch in die Bereiche „Kinder, Küche, Kirche“ und gab damit dem Umgang mit Kindern einen verstärkt femininen Anstrich. Dies wirkte sich auch auf die Elementarpädagogik aus und machte diesen Bereich für Männer unattraktiv. (Metzinger 2019: 185 f.)

Der Pflegesektor in Deutschland ist ein schnell wachsender Bereich und Männer entscheiden sich zunehmend für eine Karriere in Pflegeberufen. Trotz bestehender Herausforderungen, kann die Arbeit in der Pflege für Männer ein Gefühl von Sinn und Erfüllung sowie gute Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Angesichts des anhaltenden Wachstums des Pflegesektors ist es wichtig, Männer zu unterstützen und zu ermutigen, eine Karriere in Pflegeberufen anzustreben und Stereotype über Geschlechterrollen – sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Gesellschaft – aufzubrechen. Ähnliches gilt für die Soziale Arbeit sowie – insbesondere im Hinblick auf den Kita-Ausbau – Frühpädagogik und Erziehungsberufe. Dabei ist es wichtig, Geschlechterhierarchien sowie Gläserne-Rolltreppe-Effekte zu vermeiden und Gleichstellung in allen Berufsgruppen zu stärken.

In den letzten Jahren versuchten Initiativen, wie der Boy’s Day, Klischeefrei oder das Projekt Männer in Kitas, Care-Berufe für Männer attraktiver zu machen und die Wahlfreiheit in der Berufsorientierung Jugendlicher jenseits stereotyper Beschränkungen zu stärken. Neben Imagekampagnen werden hierzu auch Informationsmaterialien für Jugendliche, aber auch für Multiplikator*innen der Berufsorientierung, erstellt.

Männerrollen im Wandel (3)

In unserer Wirtschaftsweise hat sich in langer Tradition die Idee herausgebildet, Männer seien die Zentralsubjekte: Produktiv, karriere- und leistungsorientiert. Sie werden so bereits in Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ (1799) modelliert: „Der Mann muß hinaus/Ins feindliche Leben/Muss wirken und streben/Und pflanzen und schaffen/Erlisten, erraffen/Muß wetten und wagen/Das Glück zu erjagen.“ Konkurrenz, Autonomie, Durchsetzung und Erfolg werden zu den Maximen eines Männerlebens erklärt. Die Abhängigkeit von (materiell und im Status abgewerteter) weiblich gedachter Sorgearbeit wird damit unsichtbar (Scholz/Heilmann 2019: 14 f.). Die Wichtigkeit von Autonomie und Durchsetzung wird biographisch früh angelegt, zum Beispiel, indem Selbstfürsorge mit Parolen wie „Jungen weinen nicht!“ abtrainiert wird (Böhnisch/Winter 1997: 24 ff.). Eine möglichst deutliche Unterscheidung von Mädchen und eine Art „Abstandsgebot“ zur „Frauenarbeit“ bestimmten in der Folge auch die Berufsorientierung und die Entscheidung gegen eine aktivere Rolle in der Haus- und Familienarbeit.

Doch die verbreiteten Vorstellungen von Männern und Männlichkeit sind im Wandel: In den 1980er Jahren stellten Metz-Göckel und Müller (1986: 88 f.) noch fest, dass westdeutsche Männer nahezu ungebrochen an Beruf und Ernährerstatus festhielten, sie dabei Familienarbeit und insbesondere die Betreuung kleiner Kinder als mütterliche Aufgabe betrachteten. Inzwischen haben sich die gesellschaftlichen Vorstellungen gewandelt:  Während das Mütterbild innerhalb einer Generation verhältnismäßig konstant geblieben ist, sollen Väter heute möglichst viel Zeit mit ihren Kindern verbringen und ihre Partnerinnen unterstützen (IfD 2019: 11 ff.). Eine partnerschaftliche Aufgabenteilung der Sorgearbeit wünscht sich knapp die Hälfte der befragten Väter und 55 % von ihnen möchten etwa die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen (BMFSFJ 2021: 10). Bereits 2012 äußerten mehr als 900 von 1000 befragten Vätern, dass sie sich auch wochentags Zeit für die Familie wünschen (Väter gGmbH 2012: 15 f.). Eine aktuelle Studie zeigt, dass Männer zu diesem Zweck inzwischen auch Teilzeitarbeit gegenüber offener eingestellt sind und Akzeptanz durch die Arbeitgeber*innen hierfür erwarten: „Hier hat ein Wertewandel stattgefunden, der das Selbstverständnis von Männlichkeit und Vaterschaft in der Tiefe verändert: mehr Partizipation bei der alltäglichen Versorgung ihrer Kinder, ihre Erziehung unmittelbarer mitgestalten, das eigene Kind erleben, darin Sinn und Glück finden“ (Wippermann 2023: 16 ff.).

Quelle: Väterreport 2021 (BMFSFJ 2021: 15)

Dies gilt auch in der Praxis: Seit 2007 ist der Anteil der Väter, die das damals neu eingeführte Elterngeld beziehen, von 21 % auf 42 % (2018) gestiegen (s. Abb. 4). Auch wenn Mütter (mit durchschnittlich 14,6 Monaten) noch immer deutlich längere Elternzeiten als Väter (3,6 Monate) verbuchen (Suhr 2023: o. S.), hat dies doch positive Auswirkungen auf das Erleben von Vaterschaft und steigert auch nachhaltig das väterliche Engagement in Haushalt und Kinderbetreuung (Tamm 2018: 10 ff.).

Dies kommt nach und nach auch in der Arbeitswelt an und nicht nur in Deutschland: Eine EU-Betriebsbefragung zum Thema Männer in Teil- und Elternzeit traf zwischen 2001 und 2004 noch auf Irritation bei Personalverantwortlichen: „So etwas haben wir hier nicht!“ (Holter et al. 2005: 87). Die wenigen Väter, die dennoch interviewt werden konnten, sahen sich eher als „Exoten“, und waren auf Spielplätzen, wie sie sagten, „allein unter Müttern“ (Scambor/Scambor 2005: 17 f.). Ein großer Teil der untersuchten Betriebe befand sich noch in der Frühphase einer Entwicklung, Gleichstellungs- und Vereinbarkeitsprinzipien auch auf Männer anzuwenden. Eine vergleichbare Studie (Gärtner et al. 2021: 44) kam später zu dem Ergebnis, dass es nun viele „Good-Practice-Betriebe“ gibt, die bereits auf dem Sprung zur fortgeschrittenen Phase sind: Eine Vielzahl der Männer sagt, dass sie heute individuelle Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit ihren Vorgesetzten absprechen können (ebd.: 40). Doch der Weg zu einer gelungenen Vereinbarkeitskultur, die auch Männer einschließt, ist noch weiter zu gehen.

Handlungsfelder und Maßnahmen (4)

Das Interesse von Männern an Berufen im Bereich Pflege und Erziehung steigt. Dies zeigen internationale Studien, mediale Diskurse, Projekte und Maßnahmen. Auch ist der Anteil von Männern in Elternzeit sowie in der häuslichen Pflege gestiegen, sicherlich auch durch verbesserte gesetzliche Bedingungen. Maßnahmen hierzu müssen weitergeführt und intensiviert werden, nicht zuletzt, um das Stereotyp „unmännlicher“ Care-Arbeit zu überwinden.

Bildung und Gesellschaft:

  • Männer selbst fungieren als „Carer“ und Rollenvorbilder für Jungen und andere Männer. Sie sollten darauf – etwa in Kampagnen – stärker angesprochen werden. Besonders die Erfahrung aus der erfolgreichen Einführungsphase des Bundeselterngeldes spricht sehr dafür.
  • Die Verankerung von Caring Masculinities (sorgeorientierter Männlichkeiten, vgl. Gärtner/Scambor 2020: o. S.) ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt (Gleichstellung und damit verbundene demokratische Werte) wichtig. Auch Männern selbst kommt dies zugute: Bereits vor längerem zeigte eine norwegische Studie, dass das Leben in einer geschlechtergerechten Gesellschaft die Lebens- und Gesundheitsqualität von Männern verbessert und ihre Gewaltbetroffenheit sowie Scheidungsrisiken mindert (Holter et al. 2009: 241 f.).
  • Im Bildungssystem sollte von Anfang an darauf geachtet werden, Geschlechterstereotype zu meiden und Jungen selbstverständlich an Care-Arbeiten heranzuführen. Damit könnte auch einer Abwertung weiblich konnotierter Tätigkeiten entgegengewirkt werden, besonders, wenn sich Jungen für diese interessieren. Es liegen bereits Projekte und Materialien zur Care-Orientierung von Jungen vor2; die Erweiterung ihres Einsatzes wäre sinnvoll.
  • In der Berufsorientierung sollte einer frühzeitigen Verengung auf geschlechtstypische Berufe entgegengewirkt werden, sodass Entscheidungen individueller und freier von Stereotypen getroffen werden können. Hier sind Lehrkräfte und Berufsberatende besonders anzusprechen. Auch Arbeitgebende sollten adressiert werden, insbesondere im Bereich der Care-Berufe.
  • Es sollte bedacht werden: Care-Berufe sind Zukunftsberufe. In einer älter werdenden Gesellschaft sind Alten- und Krankenpflege von wachsender Bedeutung – dies hat nicht zuletzt die COVID-Pandemie gezeigt. Jungen und Männer mit Stereotypen den Weg zu diesem (und den angrenzenden, ebenfalls für den sozialen Zusammenhalt wichtigen Bereichen der Erziehung, Bildung und Sozialen Arbeit) zu erschweren, liegt weder im Interesse der Gesellschaft noch der Männer selbst.

Politik:

  • Es ist richtig, die EU-Richtlinie zur Vaterschaftsfreistellung umzusetzen (Begriffe wie „Urlaub“ sind hier zu vermeiden). Der Anteil der Partnermonate beim Elterngeld sollte erhöht werden. Es empfiehlt sich, den Partnerschaftsbonus und generell die Förderung kürzerer Arbeitszeiten bei Männern mit Care-Aufgaben auszubauen. Pfahl und Reuyß (2022: 24 f.) haben hierzu bereits differenzierte Vorschläge vorgelegt. Auch die Steuerung hin zu einer partnerschaftlich-gleicheren Aufteilung des Elterngeldbezuges durch eine im Zeitverlauf sinkende Lohnersatzrate, wie sie der Sachverständigenrat des 9. Familienberichts der Bundesregierung vorgelegt hat, kann hier zielführend sein (BMFSFJ 2021: 424 ff.).
  • Die materielle, personelle und symbolisch-diskursive Besserstellung von Care-Berufen würde diese für alle, insbesondere für Männer, attraktiver machen. Die Corona-Krise hat ohnehin die Bedeutung und Notwendigkeit dieses Bereiches verdeutlicht; es geht nun darum, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
  • Mittelbar kann die Care-Orientierung von Männern unterstützt werden, indem das Modell des männlichen Familienernährers steuer- und arbeitsmarktpolitisch nicht mehr subventioniert wird. Subventionen dieses Modells ungleicher Einkommen sollten, wie bereits lange gefordert, abgeschafft werden. Hierzu gehören neben dem Ehegattensplitting auch die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartner*innen sowie Minijobs (vgl. Bundesregierung 2017: 178 ff.). Neben dem Lenkungseffekt hin zu geringeren Gender Gaps bei Ehepaaren können so auch Steuermittel frei werden, etwa für Care-bezogene Fördermaßnahmen. Bach et al. (2020: 794) sprechen von „fiskalische[n] Mehreinnahmen von bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr, die zum Großteil von Paaren aus den obersten beiden Einkommensdezilen getragen werden. Diese Mehreinnahmen könnten genutzt werden, um Steuerzahler*innen allgemein zu entlasten oder um Familienleistungen zu verbessern, beispielsweise die Kinderbetreuung“. Dadurch würde der nahezu automatischen Vereinseitigung männlicher Orientierungsmuster hin zur Berufskarriere vorgebeugt; in Arbeitswelt und Familie könnten mehr Gleichheit und Partnerschaftlichkeit Einzug halten.

Wirtschaft und Arbeitswelt:

  • Eine Umsetzung gelingt langfristig nur, wenn Arbeitgebende mitziehen. Sie müssen die aktive Sorgearbeit von Männern unterstützen: Einerseits sollten Arbeitgebende in Care-Berufen Männer noch stärker für ihre Arbeitsfelder ansprechen und Barrieren reduzieren. Andererseits gibt es Maßnahmen, die übergreifend in Betrieben aller Branchen umgesetzt werden müssen: Flexible/familiengerechte Modelle in Arbeitszeit und -ort, Förderung von Care-Zeiten bei männlichen Mitarbeitenden, z.B. durch Elternzeit, die Reduktion von Arbeitszeiten, die Diskussion neuer Führungsmodelle oder die Anpassung der Arbeitszeiten an Kita-Betreuungszeiten. Viele „Good-Practice-Betriebe“ beweisen, dass dies möglich ist (vgl. etwa Gärtner et al. 2021: 10 ff.).
  • Eine Abkehr vom „Normalarbeitsverhältnis“, welches die Gender Gaps reproduziert und für Frauen vielfach eine „Teilzeitfalle“ bereithält, wäre hier zielführend. Eine flexiblere, an Lebens- und Care-Phasen orientierte Arbeitszeitnorm ist sinnvoll.
  • In Führungs(nachwuchs)-Trainings sollte dafür sensibilisiert werden, dass Care-Aufgaben zum Leben aller Menschen und mithin auch zur Betriebskultur gehören. Fragen zur Vereinbarkeit verschiedener Lebenssphären und zu Caring Masculinities sollten in diesem Kontext wie insgesamt in personalpolitischen Maßnahmen systematisch gestellt werden.
Hinweis: Am 28.02.2024 hat Destatis Ergebnisse der Zeitverwendungserhebung 2022 veröffentlicht. Unter anderem berechneten sie den Gender Care Gap neu, welcher nun bei 43,8 % liegt. Damit ist Sorgelücke zwar um 8,6 Prozentpunkte gesunken, die Zeit, die Frauen mit unbezahlter Arbeit verbringen hat sich jedoch nicht verringert, sondern ist sogar um 20 Minuten gestiegen. Die Verringerung der Sorgelücke resultiert daraus, dass Männer heute mehr unbezahlte Arbeit leisten als bei der letzten Zeitverwendungserhebung 2012/2013, und zwar knapp 21 Stunden pro Woche. Bei Frauen sind es knapp 30 Stunden.
Der vorliegende Fachtext wird zeitnah mit den neuen Daten aktualisiert.
Über den Autor

Dr. Marc Gärtner ist Kultur- und Sozialwissenschaftler. Seine Schwerpunkte liegen in den Themenfeldern Gender und Männlichkeiten, Organisation, soziale Ungleichheit und Diversität. Er ist beim Bundesforum Männer Referent für internationale Gleichstellungspolitik sowie ehrenamtliches Vorstandsmitglied der EAF Berlin.

Marc Gärtner forscht in internationalen Netzwerken der Männer- und Geschlechterforschung zu Männern und Care-Arbeit.

Mitarbeit: Lukas Zielinski